Rita Kashap in den Medien
Ein Bericht aus: ARTPROFIL – Magazin für Kunst, Heft 116/2016, © SYNTAX. Medienproduktion + Verlag GmbH, 68219 Mannheim, Deutschland
Innere Freiheit und stille Rebellion.
Eine Interpretation der Malerei von Rita Kashap © Dr. Ulrike Oppelt
Rita Kashap ist eine Wanderin zwischen den Welten. Sie ist Russin und wurde im südlichen Ural geboren, wo es schneereiche und kalte Winter gibt. Heute lebt und arbeitet sie in Berlin. 1994, in der Nach-Perestrojka-Zeit, startet sie ihre künstlerische Karriere erst mit 33 Jahren. Der Zerfall des sozialistischen Wertesystems kennzeichnet diese Zeit des Umbruchs.
Als zeitgenössische Künstlerin in den Bereichen Malerei und Zeichnung gehört Kashap in der ersten Dekade ihres Schaffens in Russland jener künstlerischen Strömung an, die durch ihr besonderes Verhältnis zu Traditionen, zur Geschichte, zur Kunst vergangener Jahre und zur west- und osteuropäischen Gegenwart geprägt ist.
Ihr Augenmerk richtet sich bevorzugt auf die zeitlosen Bedingungen menschlichen Daseins. Anknüpfend an die künstlerischen Traditionen der vorrevolutionären Epoche rückt diese Strömung die Individualität und Authentizität menschlicher Erfahrung sowie den ewigen Kreislauf der Natur in den Mittelpunkt. Stilistisch ist sie stark von Expressionismus, Primitivismus, Surrealismus und der metaphysischen Malerei geprägt. Die Arbeiten aller Vertreter dieser Richtung haben eine intensive Auseinandersetzung mit den geistigen und künstlerischen Traditionen gemeinsam. Sie fühlen sich verpflichtet, die Kontinuität des kulturellen und historischen Erbes von Künstlern wie beispielsweise Anna Achmatowa (Schriftstellerin), Dmitri Schostakowitsch (Komponist), Pawel Filonow (Maler und Dichter), Robert Falk (Maler), Boris Pasternak (Schriftsteller), Sergej Eisenstein (Filmemacher) u.v.a.m. in ihr Schaffen einfließen zu lassen.
Die Elemente der Natur, Feuer, Wasser, Luft und Erde und das darin auf- und untergehende Leben von Mensch und Tier, »Gottes Kreaturen« wie auch Mischwesen sind Inhalt immer wiederkehrender Darstellungen in Kashaps Werk. Dazu gehören die stürmischen Landschaften mit all ihrer Schönheit und Bedrohlichkeit, die in Bewegung zu sein scheinen. Die Künstlerin identifiziert sich mit diesen Landschaften und bezeichnet sie als autobiographisch.
Es frappiert, wie genau ihre Arbeiten zu dem passen, was Heinrich Klotz in den 1990ern einmal die »Zweite Moderne« genannt hat. Sie kennzeichne, dass sie die Abstraktion der Moderne vom Beginn des Jahrhunderts aufnehme, allerdings auf freie Abstraktion und auf die »Ästhetik der Komposition mit schwerelosem Gestus und mit befreiendem Pinselstrich auf großformatiger Leinwand« setze. Die Eroberung der Sinnlichkeit, das Festhalten an der Leinwand als ästhetischer Bühne, die Freude an der malerischen Arbeit sind die klar erkennbaren Merkmale ihrer großformatigen Arbeiten, meist dicht gearbeiteter, übereinandergelegter Farbschichten.
Zwar tauchen bei Kashap Farben auf, die an die »wilde« Malerei (»Junge Wilde«, Anfang der 1980er) erinnern: rosa, grau, schwarz, gelb, türkis, orange, leuchtrot. In ihren abstrakten Arbeiten setzt sie jedoch nicht auf eine unmittelbar gegenstands- oder körperbezogene sinnliche Identifikation, sondern auf eine unmittelbare Farbwirkung und die gestische Sinnlichkeit des malerischen Arbeitsprozesses.
Aus der weiten Palette verfügbarer, häufig selbst entwickelter Techniken wählt sie die ihr passende, um die Aufgabe des Bildes zu lösen. Sie lässt die Farben aufeinander prallen, mit heftigen Strichen und pastösem Auftrag verwirbelt sie alles Feste und Ruhende. Das wird besonders bei den Arbeiten deutlich, die auf klar erkennbare erotische Motive verzichten und Leidenschaft in das Sttrömen der Farbe eindringen lassen. Im Kolorit entfernt sich Kashap oft von den gedämpften Farben der klassischen russischen Malerei. Leuchtende Rottöne hallen wie ein Echo aus den Zeiten von Chagall, Gotscharowa und Malewitsch in unsere Gegenwart.
Rita Kashap zeichnet sich jenseits aller Kultur, Religion und Philosophie nicht nur durch ihren Durst nach Freiheit aus, sondern auch durch ihre Bereitschaft zum Überschreiten der eigenen Grenzen.